Auf dem Gipfel des Fuji-san
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Give me one moment in time
When I'm more than I thought I could be
When all of my dreams are a heartbeat away
And the answers are all up to me
🎶
(Whitney Houston: One moment in time)
Es ist vollbracht!
Nachdem die Besteigung des Fuji letztes Jahr wegen Corona nicht erlaubt war, haben wir uns im Sommer 2021 unseren großen Japan-Traum endlich erfüllt: Wie waren auf dem Gipfel unseres
geliebten Fuji-san!
Es war heiß, es war kalt, es war anstrengend, es war ermüdend, es war sandig, es war schweißtreibend, es war schmutzig, es war schmerzhaft. Aber es war all das wert.
Nach insgesamt 7,5 Stunden Aufstieg um 4:45 Uhr die kugelrunde rote Sonne am Horizont aufsteigen zu sehen, während man selbst auf dem höchsten Punkt (3.776 Meter) im "Land der aufgehenden Sonne"
steht – dieser Moment war magisch. Definitiv einer der schönsten Momente meines Japan-Abenteuers und wahrscheinlich auch meines bisherigen Lebens.
Aber der Reihe nach:
Wer ist eigentlich dieser Fuji-san?
Für alle, die ihn immer noch nicht kennen:
Darf ich vorstellen?
Fuji-san.
- Japanisch: 富士山 = fu [reich] + ji [Krieger] + san [Berg]
- Der mit 3.776 Meter höchste Berg Japans.
- Der heilige Berg.
- Ein über 100.000 Jahre alter, aktiver Schichtvulkan, dessen letzter Ausbruch 1707 stattfand.
- 2013 als „heiliger Ort und Quelle künstlerischer Inspiration“ zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt.
- In Japan wie ein Gott verehrt, um den sich sogar ein eigener Glauben formiert hat.
- DAS Wahrzeichen und Symbol Japans.
- Mit seiner perfekten Kegelform der Prototyp eines Bergs: Fuji-san ist sogar der Berg, dessen Foto als Erstes angezeigt wird, wenn man bei Wikipedia nach "Berg" sucht.
- Fast ganzjährig auf dem Gipfel mit Schnee bedeckt, was ihm sein unverkennbares Aussehen verleiht.
- Durch seine Höhe und seine flache Umgebung von überall aus zu sehen (von den Wolkenkratzern Tokyos, vom Fenster des Shinkansen, vom Flugzeug oder vom Strand in Kamakura).
- Umgeben von 5 Seen und einer atemberaubenden Landschaft.
- Einer der schönsten Berge der Welt.
- Das beliebteste japanische Motiv in der Kunst und Literatur.
- Oft in Wolken gehüllt, als schüchtern geltend.
- Der Berg, um den sich Mythen und Legenden ranken.
- Lieblings-Fotomotiv.
- Energiequelle.
- Sehnsuchtsort.
- Pilgerstätte.
- Natur-Schönheit.
- Perfektion der besten Art und Weise.
- In stillen Momenten leise.
- Der Berg, den ich so gerne hab.
Und nein, "Fudschijama" ist kein angemessener Begriff für Fuji-san.
Vorbereitung der Wanderung
Sobald wir erfahren haben, dass der Fuji in dieser Bergsaison (Mitte Juli bis Anfang September 2021) wieder zur Besteigung geöffnet ist, begannen wir mit
unserer Planung.
Im Detail bestand diese aus:
- Datum festlegen
- für eine der 4 Wanderrouten zum Gipfel entscheiden (die sich in der Starthöhe, Länge, Steigung und Dauer unterscheiden)
- für eine der Hütten zur Übernachtung entscheiden (und damit die Höhenmeter für die Übernachtung festlegen)
- Anreise planen
- Hütte reservieren
- Ausrüstung prüfen
- die passende Kleidung auswählen (von 30 Grad in Tokyo bis 0 Grad am Gipfel sind alle Temperaturen dabei)
- fehlendes Zubehör einkaufen, wie z.B. Stirnlampen,
- weitere Weggefährten finden (wir hätten es zwar auch alleine gemacht, aber geteiltes Leid und geteilte Freude und so ...)
- trainieren (in erster Linie bestand unser Training aus Treppensteigen statt Aufzug-Nehmen und Yoga-Übungen meinerseits für eine gute Atmung)
- einlesen, was es zu beachten gibt,
- sich Sorgen machen wegen der Höhenkrankheit
- sich Sorgen machen wegen der auf dem Fuji tödlich Verunglückten
- sich wieder ein wenig beruhigen wegen der Fahrlässigkeit mancher der tödlich Verunglückten (siehe Darwin-Award)
- den Fuji-Wetterbericht regelmäßig checken und dabei feststellen, dass er sich stündlich ändert,
- sich ganz doll auf die Wanderung freuen, also zumindest auf den Gipfel
Es beginnt
Am Morgen des 31. Juli (Sa.) um 9 Uhr geht es los:
- 20 Minuten mit der U-Bahn zum Busbahnhof in Tokyo
- 15 Minuten warten
- 2 Stunden mit dem Fernbus nach Kawaguchiko
- 45 Minuten warten
- 50 Minuten mit dem lokalen Bus auf 2.300 Meter über dem Meeresspiegel (zur 5. von insgesamt 10 Stationen des Mount Fuji)
- 90 Minuten Pause zum Gewöhnen an die Höhe
Jetzt aber wirklich: Der erste Aufstieg
Um 15:00 Uhr geht es dann wirklich los: mit der Besteigung des Fuji.
Unser Team "Fuji Rockers" besteht neben Uli und mir aus zwei Arbeitskollegen von Uli – Richard und Noboru – sowie Richards 12-jähriger Tochter.
Wir nehmen den "Yoshida"-Wanderweg – die beliebteste Strecke auf den Gipfel des Fuji. In normalen Zeiten hätten wir uns vielleicht wegen der Menschenmassen für einen der anderen Wege entschieden, aber in der aktuellen Situation (ohne Touristen in Japan) wählen wir den angenehmsten der 4 Wege. Der Yoshida-Trail ist mit vielen Hütten gesäumt, es gibt Toiletten, Getränkeautomaten, Erste-Hilfe-Stationen und vieles mehr.
Insgesamt steigen wir an diesem ersten Tag ca. 4,5 Stunden bis zur Höhe auf 3.250 Meter hinauf und meistern knapp 1.000 Höhenmeter.
Die Bedingungen sind perfekt, die Wege sind top präpariert, es ist wenig los bzw. verteilt sich gut die ganze Strecke entlang. Und Fuji-san ist gut zu uns. Er schenkt
uns Wolken gegen die Hitze, aber bewahrt uns vor Regen und Wind.
Er sorgt für die idealen Wetterbedingungen.
Wir haben uns fest vorgenommen, sehr langsam zu gehen, damit sich der Körper gut an die Höhe gewöhnen kann.
Vor allem durch unser jüngstes Teammitglied gelingt uns das langsame Gehen und ständige Pausen-Einlegen sehr gut.
Es ist körperlich nicht die anstrengendste Wanderung meines Lebens, aber wenn man die ganze Zeit im Hinterkopf hat, dass man die Höhenkrankheit bekommen oder das Wetter jederzeit umschlagen
könnte, bleibt immer eine gewisse Anspannung.
Nach etwa 2 Stunden Wanderung verändert sich der Weg zum steilen Zickzack-Marsch den Hang hinauf. Wir treffen alle 100 Höhenmeter auf eine Hütte. 18 Hütten liegen insgesamt auf unserem Wanderweg.
Die ersten auf 2.300 Meter, die letzte auf 3.450 Meter. Unsere Hütte ist die 4. höchste und befindet sich auf 3.250 Meter, also ca. 500 Meter unterhalb des Gipfels.
Je höher wir kommen, desto zäher wird es.
Es wird kalt. Die Sicht wird schlecht. Langsam tun die Knochen und Muskeln weh. Wir bereuen ein bisschen, dass wir uns für eine Hütte so weit oben entschieden haben. Aber wir wissen, dass wir es
dafür am nächsten Tag auf dem Weg zum Gipfel leichter haben werden.
Doch plötzlich sind wir über den Wolken.
Der Himmel wird erst hellblau, dann orange, rot, lila, dunkelblau.
Die Welt wird leise. Hier oben gibt es keine Vögel mehr und auch kein Zirpen der Zikaden mehr, deren Klang den japanischen Sommer tagein tagaus begleitet.
Wir können uns nicht sattsehen an der Aussicht und am Farbenspiel des Himmels.
Auf der Hütte
Gegen 19:30 Uhr erreichen wir unsere Hütte "GansoMuro" auf 3.250 Meter (8. Fuji Station).
Hier ist alles streng durchorganisiert. Die Schuhe werden am Eingang in einer Plastiktüte verstaut, die wir mit zu unserem Schlafplatz nehmen müssen. Noboru entdeckt in seinem Wanderschuh einen 8
cm langen Nagel, der seinen Fuß nur knapp verfehlt hat.
Nach einem 20-Minuten-Zeitslot für das Abendessen, bestehend aus Curry mit Reis und Tee, begeben wir uns in unsere "Kojen": unseren Schlafplatz, der aus einem
Schlafsack mit Wolldecke und Kissen besteht.
Normalerweise hat die Hütte Kapazität für 200 Personen, die in 2 Stockwerken eng auf eng nebeneinander liegen. Nur 40 cm hat man normalerweise pro Person in der Breite zur Verfügung.
Doch "dank" Corona wurde die max. Personenanzahl deutlich minimiert, der Platz zur Nebenfrau bzw. dem Nebenmann erhöht und es wurden sogar extra Vorhänge zwischen den einzelnen Schlafplätzen
eingebaut.
Doch trotz Vorhang und Ohropax ist das Schnarchkonzert gewaltig.
Aufstieg zum Gipfel
Ab 1:00 Uhr wird es dann auch schon wieder unruhig im Bettenlager. Die Ersten machen sich auf den Weg zur Gipfelerklimmung. Alle haben das gleiche Ziel: zum Sonnenaufgang oben
auf dem Gipfel sein.
Unsere Wecker sind auf 1:30 Uhr gestellt, um 2:00 sind wir abmarschbereit.
Wir reihen uns ein – in die lange Menschenschlange hoch zum Gipfel.
Jetzt sind nämlich alle gleichzeitig unterwegs, nicht wie am Tag zuvor, an dem jeder zu einer anderen Uhrzeit und auf einer anderen Höhe unterwegs war. Wie ein langer, nicht endender Wurm
schlängeln sich tausende Menschen auf dem schmalen Weg hinauf zum Gipfel. Die eigenen Stirnlampen wären nicht nötig gewesen, die Lampen der Massen erleuchten den Weg und den Berg.
Ab und zu tritt jemand für eine Pause aus der Reihe, bevor er wieder eine Lücke sucht, um in die Kette zurück zu gelangen. Manchmal sieht man jemanden am Rand des Weges
schlafen, wahrscheinlich haben manche Bergsteiger komplett auf die Hüttenübernachtung verzichtet oder sind nachts unten im Tal gestartet. Oder sie verbinden die kurze Pause einfach mit
einem kurzen Schläfchen. (Die Japaner*innen haben eh das Talent immer und überall sofort schlafen zu können.)
Ganz selten sieht man jemanden umdrehen, weil ihm die Höhe zu schaffen macht. Was man öfter sieht, ist, dass jemand eine Sauerstoff-Flasche nutzt, die überall auf den Hütten erhältlich
sind.
Unserer Gruppe geht es gut. Ein bisschen Schwindel, ein bisschen Kopfschmerzen, aber alles im Rahmen. Die vielen Pausen und das langsame Gewöhnen an die Höhe zahlt sich aus.
Auch auf dieser 2. Hälfte des Aufmarschs sind wir sehr langsam unterwegs. Diesmal nicht absichtlich, sondern weil wir uns an das Tempo der Menschenschlange anpassen müssen.
Wir brauchen 2,5 Stunden, bis wir den Gipfel erreichen.
Auf den letzten Metern wird der Himmel langsam hell, aber bis zum Sonnenaufgang haben wir noch ein bisschen Zeit. Wir fragen uns, wie all diese Menschen auf dem Gipfel Platz haben sollen.
Doch diese Sorge ist unbegründet. Der "Gipfel" ist ein Vulkan-Krater, für dessen Umrundung man schlappe 90 Minuten benötigt. Im Gegensatz zum schmalen Weg nach oben zum Gipfel verteilen sich
nun alle Menschen über das weitläufige Gebiet des Kraters. Wir wussten zwar, dass es auf dem Gipfel Getränkeautomaten geben wird, aber dass hier gleich ein ganzes "Dorf" aufgebaut ist, überrascht
uns dann doch.
Zusammen mit all den anderen erfolgreichen Gipfelstürmerinnen und Gipfelstürmern blicken wir nun erwartungsvoll gen Osten.
Der Once-in-a-life-time-Moment
Und dann ist er da: Dieser eine Moment, für den wir all die Anstrengungen auf uns genommen haben.
Um 4:45 Uhr stehen wir auf dem Gipfel des berühmten und von uns geliebten Fuji-san, während vor unseren Augen die Sonne langsam am Horizont aufgeht. Auf 3.776 Metern,
der höchsten Stelle Japans, dürfen wir an diesem Naturschauspiel teilhaben.
Wir haben in unserem Leben zwar schon einige Sonnenaufgänge sehen dürfen, aber dieser übertrifft alles.
Parallel zum Sonnenaufgang wird die japanische Flagge gehisst, begleitet von Musik und Gebet.
Die rote Kugel auf der Flagge gleicht dem roten Sonnenball am Himmel.
Land der aufgehenden Sonne.
Am Krater
Wir verweilen noch ein wenig auf dem Gipfel.
Wir werfen einen Blick in den Krater hinein, in dem ganzjährig Schnee liegt, kaufen uns kleine Andenken, frühstücken, stoßen an mit japanischem Reisschnaps und beobachten, wie die Welt um
uns und den Fuji herum langsam heller und wärmer wird.
Der Rückweg
Der Weg nach unten ist härter als der Weg nach oben. Er dauert zwar nur 3,5 Stunden, aber diesmal ist es heißer als am Vortag und die Strecke ist sehr monoton.
Im Zick-Zack-Kurs geht es den sandigen Weg hinab, die Schuhe sammeln sich mit Steinen und Sand. Wir sind übermüdet und erschöpft. Die Knie und Füße werden schwer.
Auf der Abstiegsroute gibt es keine Berghütten und kaum Einrichtungen. Wir müssen uns selber bei Laune halten.
Doch nach 6,9 km ist auch das geschafft.
Wir erreichen wieder die 5. Station, dann zurück nach Kawaguchiko, zurück nach Tokyo, zurück nach Hause.
Aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht und einer einmaligen Erfahrung im Herzen.
Denn natürlich werden wir das japanische Sprichwort beherzigen:
"Der Weise besteigt den Fuji einmal – nur der Dumme geht zweimal hinauf."
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