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Arbeiten für ein Full Remote Unternehmen


In Japan leben – für Deutschland arbeiten


🎶

Arbeit macht mega Bock,
gib mir noch nen Nebenjob.

Überstunden übergeil,
Partystimmung hier geht's steil!

 🎶
(MC Fitti: Arbeit macht mega Bock)


Seit zweieinhalb Monaten arbeite ich jetzt schon für ein deutsches Unternehmen – von Tokyo aus. 

 

28 Stunden die Woche, flexibel einteilbar. Mal Montag bis Mittwoch, mal Montag bis Sonntag. Mal 12 Stunden am Tag, mal 2, mal 0.

Mein Arbeitgeber ist ein Full-Remote-Unternehmen, d.h. jeder der ca. 40 Mitarbeiter arbeitet ortsunabhängig, von wo aus er möchte. Es gibt kein Büro, in dem mehrere Leute gemeinsam arbeiten.

 

Zeit für eine erste Bestandsaufnahme: Wie klappt das Remote-Arbeiten von Japan aus? Was sind die Vor- und Nachteile? Was läuft gut und was ist schwierig?


Die Vorteile:

  • Von der Zeit- und Stressersparnis ohne langen Arbeitsweg profitieren dank Corona zurzeit ja viele Menschen, ob in Deutschland oder in Japan. Und auch ich schätze es sehr, bereits 10 Minuten nach dem Aufstehen mit der ersten Tasse Kaffee am Schreibtisch zu sitzen – gerade in einer Stadt wie Tokyo, wo die Pendlerwege lang und die U-Bahnen voll sind.
  • Und wenn es wie hier neben der Tasse Kaffee dann auch noch schnelles Internet und keinen Dresscode gibt und ich barfuß und im Schneidersitz arbeiten darf, sind für mich die perfekten Arbeitsbedingungen gegeben. Besser könnte es in keinem Büro der Welt sein.
  • Dadurch, dass alle meine Kolleginnen und Kollegen von zu Hause aus arbeiten, sind die Arbeitstools und -Prozesse bei meinem Arbeitgeber perfektioniert: Projektorganisation per Asana, Datenbearbeitung in Google Drive, Chat via Slack und Videos mit Zoom – alles klappt reibungslos.  
  • Neben gemeinsamen Video-Calls werden viele Onboarding-Prozesse und Erklärungen mit vorbereiteten Videos gelöst. Der Vorteil dabei: Man kann die Videos immer wieder ansehen und muss nicht an seinem ersten Arbeitstag versuchen, alles mitzuschreiben, um ja nichts zu vergessen.
  • Am meisten an meinem Job liebe ich die Vormittagsstunden hier in Tokyo, in denen Deutschland noch schläft: Keine Mails und Anrufe von Kundinnen & Kunden oder Kolleginnen & Kollegen. Einfach in Ruhe ohne Störungen arbeiten – das, was im normalen Arbeitsalltag immer zu kurz kommt.
  • Von der flexiblen Zeiteinteilung mache ich regen Gebrauch, in dem ich auch mal bis 10 Uhr im Bett bleibe oder einen Tag gar nicht und dafür mal am Abend oder am Wochenende arbeite, z.B. wenn das Wetter schlecht und keine Unternehmungen geplant sind.
  • Außerdem gibt es im dauerhaften Home Office keine Kolleginnen oder Kollegen, mit denen sich man sich das Büro teilt, d.h. keine Ablenkungen oder Störungen durch Telefonate oder Gespräche anderer, keine Diskussionen über geöffnete Fenster oder die Temperatur der Heizung, keine nötige Rücksichtnahme auf sein Gegenüber, wenn man selbst telefoniert etc.
  • Das ortsunabhängige Arbeiten ermöglicht mir es natürlich auch, in einem Café, am Strand, im Park oder wo auch immer zu arbeiten.
  • Und auch zurück in Deutschland oder an einem anderen Ort auch der Welt könnte ich weiterhin für das Unternehmen tätig sein.
  • 28 Stunden pro Woche ist eine angenehme Stundenanzahl, die es einem trotzdem noch erlaubt, genügend Freizeitaktivitäten wie Japanisch-Lernen oder Blog-Schreiben nachzugehen. 
  • Früher hat mich Sonntagabend der Blues übermannt, wenn ich an den Montagmorgen denken musste, an dem immer alle Arbeitsthemen viel schneller als geplant auf einen hereinprasseln. Hier in Tokyo hab ich montags einen halben Tag Puffer, an dem Deutschland noch schläft. In dieser Zeit kann ich gemächlich in die Woche starten und die wichtigsten To-Dos abarbeiten, bevor neue Aufgaben oder Probleme eintreffen, sobald Deutschland erwacht ist.
  • Da ich in meinem Job täglich mit dem deutschen Amazon-Support zu tun habe, ich es auch vorteilhaft, wenn man außerhalb der beliebtesten Servicezeiten unterwegs ist. Die Antworten kommen in dieser Zeit deutlich schneller.
  • Und zu guter Letzt: Wenn dir dein Kollege sagt, dass er sich womöglich mit COVID infiziert hat, musst du dir nicht überlegen, ob du irgendwann in den letzten Tagen physischen Kontakt mit ihm hattest, da du ihn noch nie persönlich getroffen hast.

Diese Sammlung an Vorteilen liest sich eigentlich ziemlich gut, oder?


Die Nachteile:

  • Da mein Arbeitgeber nun mal ein deutsches Unternehmen ist, leben die Menschen, mit denen ich zu tun habe, größtenteils in Deutschland – ob Kunden, Dienstleister oder Kollegen. Dadurch sind Telefonate und andere Termine nur in den sich überschneidenden Stunden möglich. Diese beginnen bei mir erst um 16 Uhr, dann ist es in Deutschland nämlich 9 Uhr morgens. Sobald die Uhren in Deutschland auf die Winterzeit umgestellt werden, wird es für mich sogar noch eine Stunde später.
  • Meine 3 festen Video-Calls pro Woche sind von der Uhrzeit her so getimt, dass sie für alle Zeitzonen akzeptabel sind – bei mir jeweils um 18 oder 19 Uhr abends. Eigentlich ok, dann isst man halt danach oder kocht an dem Tag nichts Aufwendiges. Aber dreimal die Woche? Das ist dann schon eine größere Einschränkung in den Alltag und verlangt eine vorausschauende Essens- und Wochenplanung.
  • Außerdem entstehen aus diesen Calls herauf auch oft Aufgaben, die man eigentlich gleich danach abarbeiten sollte oder möchte. Dann wird es aber richtig spät.
  • Und wenn zu den 3 festen Terminen dann auch noch zusätzliche Arbeitstermine anstehen, die man ebenfalls in diesen gemeinsamen Stunden zwischen Deutschland und Japan unterbringen möchte, wird der Arbeitstag immer länger.
  • Theoretisch müsste ich nicht immer an den fixen Calls teilnehmen, aber diese Momente sind die wenigen Gelegenheiten, in denen man etwas vom Unternehmen und seinen Kollegen und Kolleginnen mitbekommt
  • Wenn man sich nie persönlich begegnet, lernt man die Kolleginnen und Kollegen viel weniger kennen und einzuschätzen. Es fehlen die Unterhaltungen an der Kaffeemaschine, das Zuhören bei Telefonaten (um mitzubekommen, mit welchen Themen sich die anderen beschäftigen), die gemeinsamen Mittagessen, die spontanen Unterhaltungen mit Leuten, mit denen man arbeitstechnisch nicht direkt etwas zu tun hat.
  • Auch die Vorgesetzten, die virtuell genauso schwer erreichbar sind wie im Büro, kann man nicht mal schnell auf dem Flur abpassen oder an deren Terminfülle abschätzen, wann man sie mit bestimmten Themen am besten belästigt. So verschickt man eine Chatnachricht und weiß weder, wie viel der andere gerade auf dem Schreibtisch liegen hat, noch in welcher Verfassung er gerade ist. 
  • Apropos: Für den Vorteil, dass ich Montagmorgen in Ruhe arbeiten darf, hassen mich wahrscheinlich meine Kolleginnen & Kollegen: Denn, wenn sie sich am Montagmorgen müde vor ihren Laptop setzen, warten bereits eine Menge Anfragen und Themen von mir auf sie.
  • In der Theorie klingt das flexible ortsunabhängige Arbeiten natürlich verlockend, aber mit jedem Ort auf der Welt sind auch unterschiedliche steuerliche und versicherungstechnische Verpflichtungen verknüpft. Vor allem, wenn man wie ich keinen Wohnsitz mehr in Deutschland hat, kann man jetzt nicht einfach in der Welt herumreisen und davon ausgehen, dass das Arbeiten ohne Weiteres möglich ist. Wobei: Komplizierter als die aktuelle Situation mit deutschem Arbeitgeber und japanischem Wohnsitz kann es auch nicht werden. Auch hier sind noch einige Themen zu klären, vor allem wenn es dann an die Steuererklärung geht.
  • Während Corona ist natürlich auch das Arbeiten in einem Café oder einen Coworking Space kaum möglich. Und ja, es ist praktisch, wenn man auch im Urlaub oder auf dem Weg dorthin arbeiten kann, aber will man das? Und wenn ich dann mal auf einen Picknick-Decke im Park versuche, mich so hinzudrehen, dass die Sonne nicht auf meinem Laptop reflektiert, und ich schon nach wenigen Minuten meinen großen Bildschirm und meine Maus vermisse, frage ich mich dann schon, ob das jetzt ein freieres Arbeiten ist als von meinem Arbeitsplatz zu Hause aus.
  • Zu Hause teile ich mir zwar kein Büro mit einem Kollegen oder einer Kollegin, aber stattdessen muss ich mich mit Uli abstimmen, der durch sein Corona-Home-Office ebenfalls 2- oder 3-mal pro Woche von zu Hause aus arbeitet. Dann folgen die gleichen Rücksichtnahmen aufeinander, die man auch mit einem Büropartner oder einer Büropartnerin hätte. Klimaanlage an oder aus? Wer nimmt welches Zimmer für welchen Call? Ist es ok, wenn man während des Video-Calls des anderen durchs Bild läuft und sich eine Dose Bier aus dem Kühlschrank holt? Na gut, die Themen unterscheiden sich vielleicht ein wenig von denen im Büro.
  • Und ja, der deutsche Amazon Support ist zwar "nachts" schneller erreichbar, aber in dieser Zeit auch nicht mit seinen kompetentesten Mitarbeitern besetzt.
  • Die Zeit, die ich morgens gewinne, indem ich mich ungeschminkt und verschlafen vor den PC setze, verliere ich abends übrigens wieder, wenn ich mich für die Video-Calls vorzeigbar herrichte. Gerade wenn es draußen schon dunkel ist, sieht man vor der Kamera meines Erachtens umso unvorteilhafter aus.
  • Das schlimmste an den Abend-Calls ist eigentlich die ungenutzte Zeit davor, an denen man noch nicht richtig Feierabend hat, aber auch nicht immer arbeiten möchte, weil es z.B. nichts mehr zu tun gibt oder man von der Stundenanzahl schon am Limit angekommen ist. Richtig entspannen kann man in dieser Zeit trotzdem nicht, wenn man weiß, dass noch ein Call ansteht und in der Zwischenzeit noch irgendwelche Themen aufploppen.
  • Für Deutschland geht es dann ja erst nach dem Call so richtig los. D.h. während ich eigentlich meinen Feierabend genieße, weiß ich, dass in der Zwischenzeit Dinge passieren, Kundenfragen aufkommen und neue Infos reinkommen. Da hat man dann die Wahl zwischen abends mal aufs Smartphone zu schauen oder die Neugierde auszuhalten und bis zum nächsten Morgen warten.
  • Gerade diese Zeit, die man nicht als Arbeitszeit aufschreibt und ja NUR in Gedanken bei der Arbeit ist oder auf einen Call wartet, verhindert dann die wunderbare Work-Life-Balance einer 28-Stunden-Woche. Denn wenn man bis 10 Uhr schläft, nach dem Mittagessen einkaufen geht, zwischen 17 und dem Abendcall unproduktiv rumhängt, um dann bis 20 Uhr am Schreibtisch zu sitzen, arbeitet man gefühlt doch rund um die Uhr.
  • Und zu guter Letzt: Für ein Mitarbeiterfoto auf der Unternehmens-Homepage stehe ich nun vor folgender Herausforderung: in Tokyo einen Fotografen finden, der bei 35 °C und 90% Luftfeuchtigkeit, die meine Haare in Locken verwandelt, sobald ich die Wohnung verlasse (eigentlich sobald ich die Dusche verlasse), ein Foto von mir in einem schwarzen Outfit zu schießen, auf dem ich lächle und die Arme verschränke, was in Japan eher als unangebrachte Fotopose gilt.

Fazit

Die negativen Aspekte des Arbeitens verschwinden nicht, nur weil man so viele Kilometer entfernt lebt. Die nervigen Mails, die man verpasst, weil man in Japan schon im Feierabend ist, holen einen dann eben am nächsten Tag ein. 

Und auch wenn mein Arbeitgeber alle Voraussetzungen für bestes Remote-Arbeiten geschaffen hat, muss man als Arbeitnehmer von Japan aus

  1. entweder kein Problem damit haben, seinen Arbeitstag auf den Abend zu verlegen, oder
  2. sehr viel Disziplin für eine saubere Trennung von Arbeit und Freizeit an den Tag legen.

Während ich gerade noch Ersteres ausübe, versuche ich in den nächsten Wochen und Monaten mehr zu Zweiterem überzugehen.

Dennoch liebe ich weiterhin jeden einzelnen Vormittag, an dem ich in Tokyo mit meiner Tasse Kaffee für meine Kundinnen & Kunden in Deutschland Texte verfassen, Produktseiten gestalten und kreativ sein darf.


Ergänzung wegen der vielen Nachfragen, die mich zu diesem Thema erreichen:

Tatsächlich hat es für das Unternehmen aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht geklappt, mich ohne Wohnsitz in Deutschland im Unternehmen fest anzustellen. Wir hatten das dann so gelöst, dass ich freiberuflich für das Unternehmen tätig war. Mein japanisches Visum habe ich über meinen Ehemann erhalten, mit der Erlaubnis max. 28 h im Monat zu arbeiten. Die Kranken- und Rentenversicherung lief über Japan.


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Kommentare: 6
  • #1

    Judy (Donnerstag, 10 Juni 2021 10:17)

    Hallo Melli,

    ich bin 24 Jahre alt und habe 2020/2021 ebenfalls für ein Jahr in Tokyo gelebt und mit einem Working Holiday Visum als Englischlehrerin gearbeitet.
    Durch meine Beziehung werde ich nun vermutlich noch mindestens drei Jahre in Deutschland bleiben müssen aber ich plane auf jeden Fall zurück nach Tokyo zu gehen, sobald es möglich ist.
    Da es ziemlich kompliziert ist ein Arbeitsvisum und eine passende Stelle in Tokyo zu finden bin ich nun auch auf die Idee gekommen einfach für ein deutsches Unternehmen remote zu arbeiten.
    Allerdings arbeite ich in der Immobilienbranche und habe keine Erfahrung damit nach 100% Remote Jobs zu suchen. Das wird in der Immobilienbranche vermutlich nicht so ganz einfach...
    Gibt es denn davon abgesehen generell wichtige Dinge, die man beachten muss? Du hast steuerliche und versicherungstechnische Verpflichtungen erwähnt.

    Ich freue mich über deine Antwort �

    LG
    Judy

  • #2

    Tatjana (Montag, 29 November 2021 16:15)

    Hey :)
    Gibt es rechtlich eigendlich keine Schwieirgkeiten wenn man für ein deutsches Unternehmen von Japan aus arbeitet?
    Vielleicht hast du hierzu paar Infos?

    Liebe Grüße
    Tatjana

  • #3

    Melli (Donnerstag, 02 Dezember 2021 15:35)

    Hallo Tatjana,

    vielen Danko für deine Nachricht!

    Ich hab nun unter dem Text eine Ergänzung hinzugefügt, um hier mehr Klarheit reinzubringen. Leider hat es für das Unternehmen aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht geklappt, mich ohne Wohnsitz in Deutschland fest anzustellen. Wir hatten das dann so gelöst, dass ich freiberuflich für das Unternehmen tätig war. Das war aber kein Problem, da ich ein japanisches Visum mit Arbeitserlaubnis hatte.

    Viele Grüße
    Melli

  • #4

    Janina (Dienstag, 29 März 2022)

    Hallo Tatjana,

    dein Bericht ist super spannend. Ich werde im September auch nach Japan ziehen, aber hatte bisher noch kein Glück bei Jobsuche. Ich würde auch gerne bei einem deutschen Unternehmen von Japan aus arbeiten. Wie hast du denn deinen Job gefunden und hast du eventuell Tipps, wie das mit der Jobsuche klappt?

    Viele Grüße
    Janina

  • #5

    Lisa (Mittwoch, 19 April 2023 17:22)

    Hallo, hast du das Arbeitsvisum vor Ort beantragt? War es schwierig? Bin gerade in der gleiche Situation. Ich fliege Ende Mai nach Japan. Allerdings werde ich dann über eine weltweite Firma angestellt und werde an die deutsche Firma "ausgeliehen". Ich habe so angst dass das alles nicht funktioniert:(

  • #6

    Melli (Sonntag, 30 April 2023 14:09)

    Hallo Lisa,

    die Arbeitserlaubnis für 28h habe ich vor Ort beantragt, was relativ schnell und einfach ging, weil ich schon das Aufenthaltsvisum über meinen Mann hatte. Ich hatte also kein Arbeitsvisum, sondern nur eine Arbeitserlaubnis als "Ehefrau".

    Viele Grüße
    Melli