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Tokyo-Life in Zeiten des Corona-Virus


Unser japanisches Leben in Zeiten des Corona-Virus


🎶  

Sie ist anders, 

aber an die Stadt passt sie sich an.

Sie verschmilzt mit der Fassade 

und ist fast Teil der Wand.

...

Solltest du sie suchen, sie ist

unter der Kapuze,

unter der Kapuze.

🎶

(Moop Mama: Kapuze)


Da leben wir endlich in Tokyo und auf einmal bricht mit dem Corona Virus zum ersten Mal seit 100 Jahren eine Art Pandemie aus ...

 

Aber vielleicht haben wir noch Glück gehabt. Einen Monat später und wir hätten vielleicht gar nicht mehr nach Japan ziehen dürfen. Keine Ahnung, was dann passiert wäre. Ohne Wohnung und Job in München, aber auch keine Zukunft in Japan ... Vielleicht würden wir immer noch im Hotel in München hausen? Oh, das wäre schön!

 

(Nein, ich weiß natürlich, dass es das nicht wäre.)


Unter der Maske

Im Alltag beeinflusst uns der Corona Virus eigentlich wenig – die Situation ist ähnlich wie in Deutschland: weniger Sachen anfassen, die Hände öfter und besser waschen, Desinfektionsspray an den Eingängen von Gebäuden und Restaurants nutzen etc.

 

Aber dann ist da diese Sache mit den Gesichtsmasken. Klar, als Deutsche vertreten wir natürlich die Meinung, dass diese Art von Mundschutz, der hier genutzt wird, überhaupt nicht gegen den Virus hilft. Aber in Japan wird der Mundschutz nicht erst seit dem Virus-Ausbruch getragen, sondern auch davor schon waren geschätzt 50 % der Menschen mit Mundschutz unterwegs – zumindest in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei machen das die Leute in Japan gar nicht unbedingt aus Angst, sich anzustecken, es geht vielmehr darum, andere vor sich zu schützen: vor seinen Bazillen und Keimen, seinem Husten und Niesen, seinem Mundgeruch, seinem Anblick oder was auch immer. Und kosmetische und modische Gründe (es gibt hier Masken in allen Farben und Designs, man muss sich nicht rasieren, schminken, ...) haben ebenfalls dazu beigetragen, dass eine Gesichtsmaske hier zum Alltag gehört, für manche zu einem festen Bestandteil der Kleidung. Und natürlich hat das Phänomen durch den Corona-Virus nochmal extrem zugenommen, schließlich will man ja auch niemanden mit dem Virus anstecken, falls man ihn schon hat.

      

Aber ok, das muss uns als Westler ja nicht weiter stören oder beeinflussen, dachte ich mir lange Zeit.

 

Aber dann passiert es mir zweimal, dass sich Japaner in der U-Bahn von mir wegsetzten. Und ich begriff langsam, dass das Denken der Japaner im Umkehrschluss auch bedeutete, dass es unhöflich von mir ist, andere mit meinem "Mund" zu belästigen. 

 

Also besorgte ich für Uli und mich auch einen Mundschutz (die gibt es bei mir eh kostenlos an der Sprachschule), den ich nun in der U-Bahn (und manchmal im Supermarkt) trage. 

 

Nicht, weil ich glaube, dass sie mich vor Ansteckung schützt, sondern um zu signalisieren: Wir Nicht-Japaner können uns an die Kultur anpassen, wir sind keine Störenfriede, die alle in Gefahr bringen. Und ja, dadurch habe ich auch das Gefühl, mehr dazuzugehören. Man begegnet mir irgendwie freundlicher, ich werde öfter auf Japanisch angesprochen als auf Englisch. Vielleicht aber auch, weil man hinter der Maske nicht mehr erkennt, dass ich keine Japanerin bin. 😁

Dabei habe ich festgestellt, dass es einem mit der Maske, die ja auch die Nase bedeckt, sehr schwerfällt, nach unten zu sehen. Man kann sein Smartphone nicht mehr lesen und den Boden beim Treppensteigen nicht mehr erkennen. Das erklärt, warum die Japaner ihr Smartphone immer direkt vors Gesicht halten und so langsam gehen (ihr erinnert euch an meine Ausführungen dazu?) Aha! Wakarimashita! Wieder etwas verstanden! Ihr merkt, wie das alles zusammenhängt ...

 

Ansonsten fühle ich mich eigentlich ganz wohl unter meiner Maske. Wie unter der Kapuze ist man ein bisschen verborgener, sicherer, geschützter vor den Blicken anderer.


 

Aus erster Hand habe ich mir berichten lassen, dass das Maskentragen für Brillenträger etwas schwieriger ist, weil die Brille beim Atmen ständig beschlägt. 😇

 

Mittlerweile tragen wir die Masken übrigens kaum noch, da sie in Japan Mangelware geworden sind. Deshalb tragen sie auch die Japanerinnen und Japaner nicht mehr und auf einmal ist das auch für alle in Ordnung!


Meine Jobaussichten

In den letzten Wochen hatte ich mich auf zwei Stellen als Tour Guide für deutsche Touristen (früher hätte man es wohl einfach Reiseleiterin genannt) auf Freelancer-Basis beworben. Die eine Stelle würde jeweils 2-stündige Sightseeing-Touren in Tokyo beinhalten, die andere zweiwöchige Rundreisen durch ganz Japan – bei einem coolen Unternehmen, das mich sehr anspricht, mit Leuten, mit denen ich sehr gerne zusammenarbeiten würde. 

 

Und siehe da, theoretisch habe ich für beide Jobs eine Zusage! Und gerade für die zweite Stelle habe ich mich mächtig ins Zeug gelegt: sämtliches Japan-Wissen gepaukt, drei Bewerbungsrunden gemeistert, Japanisch-Test absolviert ... Also eigentlich ein Grund zur Freude! 

 

Tja, leider fehlen nun die Touristen. Touren werden abgesagt, Reisen verschoben, Tour Guides umverteilt (natürlich werden Erfahrenere mir vorgezogen), keine neuen Touren mehr gebucht, keine neuen Leute mehr unter Vertrag gestellt. Die Touristenbranche leidet massiv unter dem Virus und seinen Folgen. Und damit auch meine Zukunft in der Tourismusbranche. Vieles hängt nun vom weiteren Verlauf des Virus ab. 

 

Derweil stocke ich als Texterin für Kunden in Deutschland unsere Haushaltskasse auf. Schließlich wissen wir alle nicht, wie es in den nächsten Monaten an der Börse und mit der Wirtschaft weitergeht. Und das Leben in Tokyo ist nicht gerade günstig. Da will ich auch meinen Beitrag leisten.

 

Aber zumindest meine Sprachschule hat weiterhin ganz normal geöffnet.


Uli im Home Office

Eine der größten Umstellung für uns: Uli muss aktuell die meiste Zeit im Home Office arbeiten. Was wir in Deutschland vielleicht richtig gut gefunden hätten, ist hier nicht ideal:

  • Da es in Japan normalerweise keine Home-Office-Möglichkeiten gibt, haben wir in unserer Wohnung nicht die besten Voraussetzungen fürs Zuhause-Arbeiten geschaffen, z.B. haben wir keinen Schreibtisch oder Schreibtischstuhl.  
  • Gerade in der ersten Zeit in Japan ergeben sich für Uli viele Fragen (z.B. zu den IT-Systemen, wie: Welcher Button bedeutet "bestätigen" und welcher Button "alles löschen"?), die er im Großraumbüro jederzeit leicht irgendjemand hätte fragen können, was von zu Hause aus schwieriger ist.
  • Die Unternehmen in Tokyo sind nicht darauf vorbereitet, dass nun sämtliche Mitarbeiter im Home Office arbeiten. Die Systeme sind überlastet, die Austausch-Laufwerke funktionieren nicht, die Mitarbeiter wissen nicht, wie sie sich in Telefonkonferenzen verhalten sollen.
  • Zumindest Uli musste sich bislang mittags keine Gedanken ums Mittagessen machen und konnte einfach in die Kantine gehen. Jetzt muss er sich mittags selber mit Essen versorgen und das Socializing mit den Kollegen geht ihm natürlich auch ab.
  • Last but not least: Da ich vor oder nach der Schule (meine 4 Stunden Unterricht pro Tag sind immer auf unterschiedliche Zeiten verteilt) ebenfalls von zu Hause aus arbeite oder lerne, müssen wir uns so arrangieren, dass wir einander nicht stören.

Expat-Life

Während wir so unsere Tage ganz gut gefüllt bekommen, ist unser Sozialleben durch den Virus am stärksten eingeschränkt. Die Abende in Tokyo leben von den Feiern und Events mit den Kollegen und Freunden. Bei Uli in der Arbeit und mir in der Schule wurden alle offiziellen Feiern abgesagt und wir haben die Empfehlung bekommen, auch auf "private Treffen" zu verzichten. Was immer private Treffen sein sollen. Wir sind da jetzt nicht sooo ängstlich, aber uns fehlen natürlich nicht die Leute, die wir nie kennenlernen konnten, weil die entsprechenden Events für Neulinge, Expats oder Ähnliches abgesagt wurden. Und selbst wenn wir jetzt auch eigene Faust losziehen, fehlt es dort an anderen Leuten und entsprechenden Angeboten, da eben auch die Bars, die regelmäßig solche Events anbieten, dies aktuell nicht tun.

  

Klar, mit meinen Mitschülern unternehme ich schon das ein oder andere, aber die verlassen halt nach 4 oder 8 Wochen meistens Japan wieder. Uli und ich sind ja eigentlich auf der Suche nach langfristigen Kontakten und Leuten, die auch in Tokyo leben. Und unsere Freunde in Deutschland überlegen sich jetzt natürlich auch zweimal, ob und wann sie uns besuchen kommen. 

 

Schon seltsam das Ganze. Neben all den Problemen, die man sich so ausgemalt hatte, passiert dann auf einmal so etwas Unerwartetes, das die ganze Welt beeinflusst. Und eben auch unser kleines Muli-Leben in Tokyo.


"Kochen" im Restaurant

Das einzig Gute: Durch den Virus ist die Stadt wenigstens ein bisschen leerer, ein bisschen ruhiger. Und in den Restaurants ist es noch einfacher, einen Platz zu bekommen. Deshalb kann ich euch wieder ein paar neue Gerichte vorstellen. Denn mit meinen Mitschülern habe ich mich an drei verschiedene Variationen des "Selber-Kochens" im Restaurant rangewagt:

 

Beim Yaki Niku (ja. 焼肉 = "gegrillt" + "Fleisch“) grillt man, wie der Name verrät, sein Fleisch, sein Gemüse oder seinen Fisch auf einem kleinen Holzkohlegrill am Tisch unter einem Rauchabzug. Dazu gibt es Eiswürfel, die man auf den Grill legt, wenn die Flammen zu hoch werden. (Ja, das funktioniert wirklich!) Insgesamt relativ einfach und sehr lecker! Der Unterschied zum deutschen Grillen liegt in der großen Vielfalt an Zutaten, vor allem Innereien oder z.B. Hühner-Haut sind hier Delikatessen. 


Das Shabu Shabu gleicht einem Fondue: Fleisch, Gemüse & Co. werden in die heiße oder kochende Brühe des Feuertopfes getaucht. Die positiven Unterschiede zum Brühen-Fondue, wir wir es aus Deutschland kennen, liegen darin, dass der Topf oft zweigeteilt ist, sodass man verschiedene Grundlagen-Brühen (z.B. eine stark und eine weniger stark gewürzte) nutzen kann und dass man auch Nudeln hineintaucht, was besonders lecker ist. Der Nachteil: Die Gäste haben keine einzelnen Spieße, sondern alle legen etwas hinein und dann muss man es eben wieder finden ... Und wenn man das gleiche reingeworfen hat, kann es leicht passieren, dass man mal etwas Rohes erwischt und mal etwas zu Durchgekochtes. Am besten wäre es wohl, wenn man gemeinsam Dinge reinwirft und anschließend teilt.


Außerdem gab es wieder Okonomiyaki, diesmal jedoch selbst gebraten am Tisch, aber ich gebe zu: Wir hatten Hilfe von einer sehr hilfsbereiten Bedienung. Nur den Spruch "We missed you" von meinem Mitschüler (als wir kurz unsicher waren, wann wir unsere Okonomiyakis drehen sollten) verwirrte sie. (In Japan verseht man unsere Art der Ironie oder des Humors nicht wirklich, sondern nimmt alles wörtlich ...).

 

Wir testeten zur Abwechslung mal drei vegetarische Varianten: Gemüse, Käse und "Nattō", die berüchtigten fermentierten Bohnen, über die sich die Geschmäcker streiten. Zumindest gebraten im Okonomiyaki fand ich den Geschmack ausgezeichnet! 

Vielleicht ist es ja doch besser, während des Corona Virus in Tokyo zu sein, da gibt es zumindest in kulinarischer Hinsicht noch genug zu entdecken ...